Angesichts des unendlichen Leides, den der russische Überfall auf die Ukraine verursacht, der Zerstörung und Vertreibung sowie dem Tod hunderttausender Menschen auf beiden Seiten, werden in Gesellschaft und Kirche die Fragen nach Wegen zu Waffenstillstand und anschließenden Friedensverhandlungen immer drängender
Rund 60 Interessierte folgten der Einladung der Kirchengemeinde Babenhausen, sich mit dieser Thematik unter dem Gesichtspunkt christlicher Grundhaltungen auseinanderzusetzen.

Um die kontroversen Positionen auch innerhalb der evangelischen Kirche deutlich zu machen, lud das Babenhauser Presbyterium den Militärpfarrer Claus Wagner aus Augustdorf sowie Pfarrer Berthold Keunecke als langjähriges Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes zu kurzen Impulsreferaten für den Gesprächsabend ein. Nach seiner Begrüßung skizzierte Andreas Becker-Brandt (Presbyter) die aktuelle gesellschaftliche und kirchliche Kontroverse, bevor er das Wort an die Vertreter von Pro- (Pfarrer Wagner) bzw. Contra-Positionen (Pfarrer Keunecke) zu Waffenlieferungen übergab.

Zu Beginn schilderte Militärpfarrer Wagner die persönlichen Eindrücke seiner jüngsten Reise nach Litauen. Sehr deutlich seien ihm dort die Erfahrungen unter sowjetischer Herrschaft wie auch die aktuellen Sorgen dargestellt worden. Pfarrer Wagner bezog sich in seinen Ausführungen zum "Gerechten Frieden durch Recht" detailliert auf die Denkschrift der EKD von 2007, in der konkrete "Institutionen, Regeln und Verfahren eines international vereinbarten Rechtszustands" als Garanten christlicher Friedensethik beschrieben sind
Abschließend distanzierte er sich von überbordender Kriegs-Rhetorik in den Medien und forderte ein Bewusstsein für eine "friedliche Sprache". Er unterstütze die Waffenlieferung klar und deutlich, es müsse aber auch klar sein, dass Krieg die Ultima Ratio sei und es dabei stets gelte, die Lieferungen von Waffen, vor allem von Angriffswaffen, äußerst kritisch zu reflektieren.

Zur Einleitung verwies Pfarrer Keunecke auf sein langjähriges Engagement für den Internationalen Versöhnungsbund und seine engen Bezüge zur Friedensbewegung seit den 80ziger Jahren. Schon damals sei es um die Verhinderung der Eskalation im Ost-West-Konflikt gegangen; dies sei für ihn auch heute mit der Ukraine so. Er berichtete, dass er in den Anfangsmonaten des Krieges sehr unter den Gefühlen von Ohnmacht und Verzweiflung gelitten habe. Als Zeichen persönlicher Buße sei er barfuß gelaufen, weil er sich vorwerfe, nicht genügend gegen den neuen Kalten Krieg in Europa demonstriert zu haben.

Ausführlich bezog er sich auf die neun Eskalationsstufen des Konfliktforschers Prof. Friedrich Glasl. Von "Verhärtung" über "Polarisation" hin zu "Drohstrategien" und "Begrenzten Vernichtungsschlägen" führe ein direkter Weg in den "Gemeinsamen Abgrund"
Pfarrer Keunecke hob hervor, dass Waffenlieferungen den Krieg grundsätzlich nicht aufhielten, sondern verlängerten und er bezog sich auf den Propheten Jesaja: Vertrauen auf Waffen sei ein Misstrauen gegen Gott. Abschließend skizzierte er das - aus seiner Sicht - problematische Verhalten des Westens und der Nato zu den Unabhängigkeitsbestrebungen in der Ukraine der vergangenen Jahre. Er forderte den Stopp von Waffenlieferungen und stattdessen die sofortige Aufnahme von Verhandlungen um Waffenstillstand und Frieden.

In den anschließenden Stellungnahmen der Zuhörer*innen wurden sowohl Zustimmungen wie auch kritische Fragen zu den dargestellten Pro- und Contra-Argumenten geäußert. Das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverteidigung der Ukrainerinnen und Ukrainer wurde deutlich eingefordert, aber auch die Sorge unterstrichen vor einem "Abnutzungskrieg" mit unfassbarem weiterem Leid.

Zum Abschluss dieses intensiven Abends lud Pfarrerin Barbara Zöckler ein zu einem Friedensgebt in die Babenhauser Kirche. Viele Anwesende folgten dieser Einladung. In Liedern, Gebeten und dem Anzünden von Friedenskerzen wurden die geäußerten Ängste, Fragen und Zweifel aufgegriffen und vor Gott gebracht.

In verschiedenen Rückmeldungen zu dem Abend wurde deutlich, dass es gutgetan habe, kontroverse Positionen und deren Argumente zu hören, wie auch in gegenseitigem Respekt und wertschätzend ins Gespräch gekommen zu ein.

Text: Andreas Becker-Brandt